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„Der Mathematiker lehrte mich, meine Ländereien zu vermessen; eher sollte er mich lehren, wie ich ermessen kann, wie viel dem Menschen genug ist. Er lehrt mich zu zählen und macht meine Finger der Geldgier dienstbar; eher sollte er mich lehren, dass diese Berechnungen nichts zur Sache tun: dass der Mann keineswegs glücklicher ist, dessen Millionenerbschaft die Vermögensverwalter strapaziert, ja noch mehr: wie viel Überflüssiges ein Mann besitzt, der sich schon dadurch ins tiefe Unglück gestürzt sähe, wenn er sein Vermögen einmal selbst berechnen müsste. Was nützt es mir zu wissen, wie ich irgendein Stück Land in viele Teile teilen kann, wenn ich nicht weiß, wie ich dasselbe Stück Land mit meinem Bruder teilen soll? Was nützt es mir, einen Morgen Land Fuß für Fuß peinlich genau zu vermessen und auch das noch zu erfassen, was sich der Messlatte entzieht, wenn mich doch ein unverschämter Nachbar missvergnügt macht, der mir vielleicht beim Pflügen irgendeinen Zipfel von dem Meinen abzwackt? Der Mathematiker lehrt mich, auch nicht eine Handarbeit meiner Ländereien einzubüssen; aber ich will vielmehr lernen, wie ich diese Ländereien alle miteinander heiter gestimmt verlieren kann. … Welch großartige Wissenschaft! Du verstehst dich darauf, Kreisflächen und Kugelinhalte zu vermessen, du beherrscht die Kunst, jede gegebene Figur in ein Quadrat zu verwandeln; du weißt die Abstände der Planeten voreinander zu benennen; nichts gibt es, was nicht unter deine Maßstäbe fiele. Wenn du ein Meister deiner Kunst bist, so miss des Menschen Seele aus: Sage, wie riesengroß sie ist; sage, wie winzigklein sie ist. Du weißt, was eine gerade Linie ist; was nützt dir das, wenn du nicht weißt, was im Leben das Gerade ist?“

Seneca † 65 n. Chr.

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